Freie Affen Theaterstück Von Reinhard Tantow Berlin, April/Mai 2016
Fünfzehnte Szene: Reformationsplatz
Am Nachmittag auf dem Reformationsplatz. Einer der vermummten, furchtbaren Aggressoren liegt, gut sichtbar, ausgestreckt auf dem Rücken auf dem Bühnenboden. Das schwarze Tuch wurde ihm abgenommen. Sein Baseballschläger, mit deutlichen Spuren menschlichen Gebrauchs, liegt, schräg zum Publikum, gleich neben ihm. Der Mann ist tot. Weiter rechts hält Monica Zoltan in den Armen. Wittenberg hockt wimmernd neben Anastasia. Die Wolfshunde wurden erschlagen. Der Tatort ist mit Flatterband abgesperrt. Im Hintergrund zunächst nur ein großes Polizeifahrzeug, ein Mannschaftswagen. Richard sitzt apathisch auf der Bank rechts außen. Ein Polizist in Uniform hält sich in seiner Nähe auf und beobachtet ihn möglichst unauffällig. Sebastian ist verschwunden. Auch die restlichen schwarzen Schläger sind vorsichtshalber schleunigst abgehauen. Der Polizeifotograf macht Aufnahmen von der Leiche, vom Tatort, auch von der näheren Umgebung. Zwei Kriminalpolizisten gehen langsam auf Monica und Wittenberg zu.
Erster Kriminalpolizist:
Doc Valentin ist unterwegs. Aber die Diagnose dürfte bereits feststehen. Todesursache ist ein phänomenaler Messerstich, unter dem Rippenbogen angesetzt, schräg nach oben geführt und direkt ins Herz.
Zweiter Kriminalpolizist:
Feststehende Klinge?
Erster Kriminalpolizist:
Anzunehmen. Breit, aber nicht zu breit. Lang genug mit Sicherheit.
Zweiter Kriminalpolizist:
Tatwaffe?
Erster Kriminalpolizist:
Unauffindbar.
Zweiter Kriminalpolizist:
Beiseite geschafft?
Erster Kriminalpolizist:
Davon ist auszugehen.
Zweiter Kriminalpolizist (zu Monica und Wittenberg):
Kommen Sie bitte, der Tatort muss geräumt werden, der Gerichtsmediziner trifft gleich ein. Wir haben Ihnen außerdem einige Fragen zu stellen.
Monica:
Die Dreckhaufen haben unsere Hunde erschlagen! Zoltan und Anastasia. Aus purer Lust am Morden! Warum gehen Sie nicht und verhaften die Schweine? Sie dürften Ihnen seit Jahren bestens bekannt sein.
Wittenberg:
Ruhig, Monica, nicht provozieren lassen, ganz ruhig bleiben.
Zweiter Kriminalpolizist:
Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie den Mann erstochen haben, Herr …
Wittenberg:
Wittenberg ist der werte Name. — Wir haben niemanden erstochen. Merken Sie sich das bitte, Herr Wachtmeister.
Erster Kriminalpolizist:
Und wie erklären Sie sich den Toten, keine zwei Meter neben Ihnen?
Wittenberg:
Den erkläre ich mir gar nicht.
Monica:
Erklären Sie sich das Aas gefälligst selber. Dafür werden Sie schließlich vom Staat fürstlich entlohnt.
Wittenberg:
Ruhe, Monica, am besten: Schnauze halten!
Erster Kriminalpolizist:
Ich möchte Sie noch einmal auffordern, den Tatort zu verlassen. Sie behindern sonst die Spurensicherung.
Monica:
Ich scheiße auf Ihre Spurensicherung, Sie gemeiner Bulle. — Meine Hunde sind tot!
Der Erste Kriminalpolizist winkt vier Uniformierte heran. Sie kommen angelatscht, ziehen Monica und Wittenberg hoch und führen sie nach hinten zu dem zweiten Mannschaftswagen, der mittlerweile (links) an der Ecke Carl-Schurz-Straße aufgefahren ist. Nach wenigen Schritten befreit sich Monica aus dem Griff der Polizisten. Sie bleibt stehen, zieht das violette Tuch aus der Brusttasche ihrer Jacke und bindet es sich um den Hals. Dann erst geht sie weiter zum Polizeifahrzeug.
Erster Kriminalpolizist:
Ich fürchte, es wird schwer werden.
Zweiter Kriminalpolizist:
Das übliche Versteckspiel.
Erster Kriminalpolizist:
Die Schwarzen beschuldigen die Roten, und die Roten verdächtigen die Schwarzen.
Zweiter Kriminalpolizist:
Wir müssen unbedingt das fabelhafte Kampfmesser finden.
Erster Kriminalpolizist:
Wir haben alle noch Anwesenden gründlich durchsucht — mit negativem Erfolg.
Zweiter Kriminalpolizist:
Die Frau könnte es gewesen sein. Sie wollte ihre Hunde rächen und zeigt keinerlei Reue.
Erster Kriminalpolizist:
Ich meine, es ist noch zu früh, konkrete Aussagen über eine mögliche Täterschaft zu machen.
Die beiden Kriminalpolizisten gehen zu Richard auf die rechte Seite der Bühne.
Erster Kriminalpolizist:
Guten Tag.
Richard antwortet nicht. Er schaut noch nicht einmal zu den Beamten auf.
Zweiter Kriminalpolizist:
Guten Tag!
Richard antwortet wieder nicht.
Erster Kriminalpolizist:
Können Sie nicht antworten? Sind Sie schwerhörig oder gar taub?
Richard:
Lassen Sie mich bitte in Frieden, meine Herren Staatsmacht.
Erster Kriminalpolizist:
Das ist allein unsere Entscheidung, wen wir in Frieden lassen und wen nicht. Vorläufig befragen wir Sie lediglich als Zeuge.
Richard:
Ich habe nichts zu bezeugen.
Zweiter Kriminalpolizist:
So wie der Appetit manchmal erst beim Essen kommt, ist es auch mit Zeugenaussagen. Oft kommt die Erinnerung erst, wenn einem die richtigen Fragen gestellt werden.
Richard:
Ich werde keine Fragen beantworten.
Erster Kriminalpolizist:
Sie sind zur Beantwortung der Fragen, die die Polizei Ihnen stellt, sogar verpflichtet.
Richard:
Das gilt keineswegs unter allen Umständen.
Erster Kriminalpolizist:
Kommen Sie bitte mit uns zum Einsatzleiter der Schupo. Sie müssen ebenfalls identifiziert werden.
Die Kriminalpolizisten begleiten Richard nach hinten zu den Mannschaftswagen der Schutzpolizei. Der Gerichtsmediziner untersucht den Leichnam. Er hält sich nicht lange damit auf. Zwei Sargträger erscheinen und stellen den Zinksarg bereit. Endlich betritt Mrs. Sanders mit wehenden Haaren und wehendem Mantel die Szene. Sie hat wieder ihr Walkie-Talkie dabei.
Mrs. Sanders:
Meine Herren, einen Augenblick!
Mrs. Sanders will unter dem Flatterband hindurch, wird aber von einem der Polizisten in Uniform daran gehindert.
Mrs. Sanders:
Wissen Sie nicht, wer ich bin? Ich muss unbedingt Ihren Vorgesetzten sprechen. Es ist dringend.
Polizist in Uniform:
Dann gehen Sie bitte außen herum. Die Absperrung haben wir nicht zum Spaß vorgenommen, und sie gilt für jeden Unbefugten ohne Ausnahme.
Mrs. Sanders:
Ich bin keineswegs eine Unbefugte, aber lassen wir das. Wo finde ich Ihren Chef?
Polizist in Uniform:
Immer der Nase nach, gnädige Frau.
Mrs. Sanders:
Ich bitte mir Respekt aus, junger Mann!
Die Kriminalbeamten kommen über den Reformationsplatz zurück und hören der Auseinandersetzung belustigt zu.
Mrs. Sanders (aufgeregt):
Ich habe es kommen sehen, meine Herren! Wenn man rechtzeitig auf mich gehört hätte, dann gäbe es jetzt keine Leiche mitten in der Spandauer Altstadt.
Zweiter Kriminalpolizist:
So beruhigen Sie sich erst einmal, gute Frau.
Mrs. Sanders:
Ich verbitte mir Ihre „gute Frau“, Herr Kommissar!
Erster Kriminalpolizist:
Sie sind Mrs. Sanders, wenn ich mich recht entsinne?
Mrs. Sanders:
Ganz genau.
Erster Kriminalpolizist:
Und Sie repräsentieren gewissermaßen das Altstadt-Management den Geschäftsleuten und auch der Kundschaft, den Altstadtbesuchern gegenüber?
Mrs. Sanders:
Das lässt sich in erster Annäherung so formulieren, Herr Winter.
Erster Kriminalpolizist:
Sie kennen meinen Namen?
Mrs. Sanders:
Selbstverständlich.
Erster Kriminalpolizist:
Womit dürfen wir Ihnen behilflich sein, Mrs. Sanders?
Mrs. Sanders:
Ich wünsche eine Besprechung im Landeskriminalamt über die künftige und hoffentlich verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem Revier in der Moritzstraße, der Kripo und meinem Bureau.
Zweiter Kriminalpolizist:
Aber wie stellen Sie sich das vor, Mrs. Sanders?
Mrs. Sanders:
Das werde ich Ihnen genau zu erklären wissen, meine Herren, verlassen Sie sich darauf.
Erster Kriminalpolizist:
Also schön, ich werde das mit Herrn Kriminalrat von Werner absprechen, Mrs. Sanders.
Mrs. Sanders:
Über die Dringlichkeit der Angelegenheit sollten keinerlei vernünftige Zweifel mehr bestehen.
Zweiter Kriminalpolizist:
Wir sind voll im Bilde, Mrs. Sanders.
Mrs. Sanders:
Und lassen Sie bitte endlich diese entsetzliche Leiche abtransportieren! — Auch die Hundekadaver bieten keinen besonders erhebenden Anblick. Wer ist in Deutschland dafür zuständig? Die Müllabfuhr?
15. September 2016